Der gedrehte Kirchturm

Aufstieg zum Turm
Aufstieg zum Turm

 

Die gedrehten Türme stellen ein sehr delikates Problem dar. Diese genau vertikale Spitze verläuft sehr gleichmäßig und harmonisch, so dass es schwerfällt, zu glauben, hierbei handele es sich um einen Zufallseffekt oder um das Ergebnis eines Konstruktionsfehlers.

 

Gleichermaßen haben die französischen Zimmerleute in Übereinstimmung mit den Einwohnern und der umliegenden Pfarrgemeinde immer behauptet, dass die Verdrehung des Turmes ein gewolltes Meisterwerk sei.

 

Andererseits wollte ein Architekt für historische Bauwerke das Rätsel dieses sonderbaren Bauwerks durch genaue Untersuchungen aufklären. Er studierte mit großer Aufmerksamkeit die Balkenkonstruktion innerhalb des Turmes und entdeckte, dass die Verwindung des gesamten Turmes einzig und allein auf die Drillbewegung des Pfrimes, des sehr starken in der Mitte des Gebälks befindlichen vertikalen Balkens zurückzuführen sei. Die Verwindung dieses Hauptbalkens bewirkte das Nachsichziehen der anderen Elemente und führte auf Grund von Deformationen über mehrere Jahrhunderte hinweg (die Kirche wurde Ende des XII. Jahrhunderts erbaut) und durch die vielen nachfolgenden Instandsetzungen des Daches zu der heutigen Form des Turmes.

 

Im XV. Jahrhundert begann der würdige Prior, André de Rély, Bruder des Konfessors von Charles VIII., beachtliche Erweiterungsarbeiten: Er ließ neue Befestigungen erstellen, eine neue Halle bauen und die Kirche renovieren.

 

Doch - wahrscheinlich aus politischen Gründen - wurde er von den Brüdern Huttin aus Chatillon brutal ermordet. Seine Nachfolger setzten sein Werk fort (hervorzuheben ist der Prior Jacques de Bruges). Sie vollführten die totale Einfriedung der Stadt und beendeten im Jahre 1519 den unfertigen Flügel der Kirche. Das Tor Saint-Jacques war für lange Zeit eines der schönsten Bauwerke der Region.

 

Um Puiseaux kristallisierte sich der Bauernwiderstand gegen die Steuern, und im Jahre 1791 wurde die Stadt zum Zentrum des Aufruhrs gegen die Getreideerntesteuer (»Champart«): Weder die Armee noch die Nationalversammlung wagten ihre Meinungen durchzusetzen, und die »Champart«wurde wieder aufgehoben. (Zu dieser Zeit erlebte man, dass auf dem Hauptplatz ein Galgen errichtet wurde und die Wände der öffentlichen Gebäude mit Aufrufen zur Gewalt benutzt wurden; jedoch niemand wagte, sie entfernen zu lassen.)

 

Der Kommandant von Château-Thierry, der beauftragt wurde, den Aufruhr der Gâtinais-Bauern zu beenden, vermied Blutvergießen nur durch großen Aufwand an Diplomatie.

 

Die Nationalversammlung musste nachgeben, um die Revolte zu beenden.

 

Im Jahre 1814 durchquerten die Kosaken die Stadt. Durch ein dem General Tchernichef gegebenes Festmahl wurde die Plünderung der Stadt vermieden: Puiseaux kam noch einmal gut davon!

 

1940 gab es weder Bombardierungen noch Kämpfe in Puiseaux, und trotz grausamer Schicksale, die manche Einwohner der Stadt durchstehen mußten, überstand die Stadt den Krieg schadlos.

 


Das Interesse für die gedrehten Glockentürme wurde erst 1988 nach der Restaurierung des Kirchturmes in Sérignac (Lot et Garonne) erweckt.1989 nimmt der archäologische Verein aus Puiseaux das Thema auf.

 

Das von der Gemeinde Puiseaux herausgegebene Buch "Gedrehte Glockentürme in Europa" beschreibt 108 europäische Glockentürme, und zwar:

 

63 in Frankreich,

 

19 in Deutschland,

 

7 in Österreich,

 

9 in Belgien,

 

2 in Dänemark,

 

3 in Groß-Britannien,

 

1 in Italien und

 

4 in der Schweiz.

 

(Stand Mai 2006)

 

Nicht alle Kirchtürme konnten bis jetzt registriert werden, sowohl in Frankreich wie im Ausland.